Massenproteste in Israel nach Bergung toter Gaza-Geiseln
In Israel haben nach dem Fund der Leichen von sechs Geiseln im Gazastreifen die größten Massenproteste seit Beginn des Gaza-Kriegs stattgefunden. Medienberichten zufolge forderten Hunderttausende von Menschen ein sofortiges Abkommen mit der islamistischen Hamas. Der Gewerkschafts-Dachverband Histadrut hat für heute einen Generalstreik ausgerufen, um den Druck auf die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu erhöhen, einen Deal zur Freilassung der verbleibenden Geiseln zuzustimmen.
Die Proteste fanden in verschiedenen Städten, einschließlich Tel Aviv, statt, wo Schätzungen zufolge etwa 300.000 Menschen teilnahmen. Die Demonstranten forderten nicht nur die Freilassung der Geiseln, sondern auch eine sofortige Waffenruhe im Gaza-Konflikt. Gewerkschaftschef Arnon Bar David wurde mit den Worten zitiert: „Wir können nicht weiter zuschauen. Dass Juden in den Tunneln von Gaza ermordet werden, ist inakzeptabel.“ Der Generalstreik soll um 06:00 Uhr Ortszeit beginnen und auch den internationalen Flughafen Ben Gurion betreffen, dessen Betrieb gestört werden soll.
Die israelische Armee hatte am Sonntagmorgen bekannt gegeben, dass die Leichen der Geiseln in einem unterirdischen Tunnel im Süden des Gazastreifens entdeckt wurden. Berichten zufolge wurden die Geiseln 48 bis 72 Stunden vor der Autopsie aus nächster Nähe erschossen. Ein Sprecher der Hamas wies diese Behauptung zurück und erklärte, die Geiseln seien durch israelische Bombardements ums Leben gekommen.
Die Protestierenden in Tel Aviv skandierten: „Wir werden sie nicht im Stich lassen“, in Anspielung auf die noch 101 Geiseln, die sich in der Gewalt der Hamas befinden. Symbolisch wurden auf einer Bühne die Särge der sechs getöteten Geiseln aufgebahrt. Während der Proteste kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, und es wurden Dutzende von Festnahmen gemeldet. Teilnehmer blockierten zentrale Schnellstraßen und setzten Feuerwerkskörper ein, was zu einem massiven Polizeieinsatz führte.
Die Demonstranten forderten von der Regierung einen raschen Deal, der eine Waffenruhe im Gaza-Krieg sowie die Freilassung der Geiseln im Austausch gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen ermöglichen soll. Die indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, an denen auch die USA, Katar und Ägypten als Vermittler beteiligt sind, stagnieren seit Monaten.
Nach Informationen der „Washington Post“ planen die Vermittler, den Konfliktparteien in den kommenden Wochen einen letzten Vorschlag für ein Abkommen vorzulegen. Sollte dieser Vorschlag ebenfalls abgelehnt werden, könnte dies das Ende der Verhandlungen bedeuten. Die Dringlichkeit eines Abkommens wurde durch den Fund der toten Geiseln unterstrichen.
Umfragen des Israel Democracy Institute haben ergeben, dass 82 Prozent der Israelis eine Vereinbarung über die Freilassung der Geiseln befürworten. Allerdings sind die Meinungen über die Bedingungen eines solchen Abkommens gespalten. Einige fordern die Rückkehr der Geiseln, während andere eine Fortsetzung des Krieges zur Sicherung des Südens befürworten.
Ein zentraler Streitpunkt bei den Verhandlungen ist die Frage, wie lange israelische Truppen im Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten stationiert bleiben sollen. Das israelische Sicherheitskabinett hat kürzlich entschieden, an der Kontrolle des Korridors festzuhalten, was von den Angehörigen der Entführten scharf kritisiert wurde.
Verteidigungsminister Joav Galant forderte, die Entscheidung des Sicherheitskabinetts rückgängig zu machen, um die verbleibenden Geiseln nach Hause zu bringen. Er äußerte sich besorgt über die Sicherheit der Geiseln und kritisierte die Regierung für ihre bisherigen Entscheidungen.
Zusätzlich zu den Protesten und den politischen Spannungen gibt es Berichte über eine Impfkampagne gegen das Poliovirus im Gazastreifen, die nach einem kürzlichen Fall von Kinderlähmung gestartet wurde. Die israelische Armee plant, während der Impfkampagne zeitlich und örtlich begrenzte Kampfpausen einzuhalten, was jedoch nicht als Waffenruhe im klassischen Sinne betrachtet wird.
Der aktuelle Konflikt in Gaza wurde durch einen massiven Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 ausgelöst, bei dem mehr als 1.200 Menschen getötet wurden. Seither sind die Kämpfe zwischen Israel und der Hamas eskaliert, was zu erheblichen Verlusten auf beiden Seiten geführt hat. Die Zahl der in Gaza getöteten Palästinenser wird auf über 40.700 geschätzt, wobei diese Zahl nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheidet und schwer zu überprüfen ist.
Die Situation bleibt angespannt, und die Forderungen nach einem Abkommen zur Freilassung der Geiseln und zur Beendigung der Gewalt werden immer lauter.